„Gesund beginnt im Mund“ – den Spruch haben Sie bestimmt schon mal gehört, aber was hat die Mundgesundheit mit der allgemeinen Gesundheit denn wirklich zu tun? Nun, nehmen wir mal die Parodontitis, umgangssprachlich auch als „Parodontose“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich um eine Erkrankung, bei der es über Zahnfleischentzündung, Taschenbildung, Knochenabbau zur Zerstörung des Zahnhalteapparates kommt und die am Ende zum Verlust des Zahnes führt.
Mittlerweile jeder zweite Bundesbürger ist davon betroffen und die meisten wissen es noch nicht einmal – die Erkrankung macht kaum Schmerzen und bleibt häufig über lange Zeit unentdeckt. Diese dauerhafte chronische Entzündung und Bakterienbelastung erhöht aber lt. zahlreicher internationaler Studien das Risiko für Herz-/Kreislauferkrankungen um das Dreifache, sowie Früh- u. Fehlgeburten um das Siebenfache und steht u.a. in Verbindung zu Osteoporose, Gelenksarthrose, Typ-II-Diabetes, Lungenkrankheiten (z.B. COPD), Rheuma und bestimmter Krebserkrankungen (z.B. Brustkrebs).
Durch Früherkennung und rechtzeitige Behandlung, sowie regelmäßige professionelle Zahnreinigung kann dieses Risiko erheblich gesenkt werden. Aber steckt nicht vielleicht noch mehr dahinter? Die aktuelle fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie 2016 (DMS V) belegt, dass trotz aller Bemühungen sich die Zahl der schweren Parodontitiserkrankungen im Vergleich zur letzten Studie 2005 zwar halbiert hat, aber immer noch weit mehr als 50% der deutschen Bevölkerung an einer moderaten Parodontitis leidet, Tendenz steigend. Das Fazit daraus für die Zahnärzteschaft: „Wir sind auf dem Weg, haben aber längst noch nicht alles im Griff!“ Insbesondere das ehrgeizige Mundgesundheitsziel für Deutschland u.a., die Prävalenz schwerer parodontaler Erkrankungen auf 10 % in der Population jüngerer Erwachsener (35 bis 44 Jahre) und 20 % in der jüngerer Senioren (65 bis 74 Jahre) bis 2020 zu begrenzen erscheint daher fast utopisch.
Daher stellt sich die Frage, warum diese Erkrankung zunimmt, wenn doch die Mundhygiene-Maßnahmen, die sie bekämpfen sollen, allgemein deutlich verbessert wurden. Das Paradoxe daran – Parodontitis kann es ja nur geben, wenn auch noch Zähne vorhanden sind und da zeigen die kariespräventiven Maßnahmen und der allgemeine medizinische Fortschritt mittlerweile ihre Wirkung – viele Menschen erreichen ein hohes Lebensalter mit immer mehr eigenen Zähnen. Bei den derzeitigen Behandlungskonzepten steht die Bekämpfung der Bakterien im Mittelpunkt. Mit Hilfe von Antibiotikaeinsatz und der „Full-mouth-desinfection“ und eines entsprechenden „Biofilm-Management“ wird versucht, ein Überhandnehmen krankheitsverursachender Bakterienarten zu verhindern – als Akutbehandlung macht das Sinn, aber was kommt dann?
Leider stellt man sich immer noch zu wenig die Frage, warum diese „schlechten“ Bakterien überhaupt ein für sie ideales Milieu zum Gedeihen in der Mundhöhle vorgefunden haben. Bei den lokalen Faktoren spielt neben der Mundhygiene natürlich auch die Hygienefähigkeit des Gebisses eine große Rolle. Abstehende Kronenränder, überstehende Füllungen und generell schwer zu reinigender Zahnersatz fördern die Ansammlung von Plaque und damit den Nährboden für die Bakterien. Auch Zahnimplantate bleiben davon nicht verschont (Stichwort: Periimplantitis).
Rauchen (6-fach höheres Risiko), Diabetes, Überlastung der Zähne durch Knirschen oder Pressen zählen zu den seit lange bekannten „Co-Faktoren“, deren Vorhandensein eine Parodontitis mit auslösen bzw. ihren Verlauf wesentlich verschlimmern kann. Heute aber zunehmend diskutiert werden genetische Ursachen und Umwelteinflüsse durch Zahnersatzmaterialien, Schadstoffe, Ernährungseinflüsse und Stress („Übersäuerung“). Die Immunpathogenese der Parodontitis macht deutlich, dass die Entzündung als eine unkontrollierte und fehlgeleitete Reaktion eines instabilen Regulationssystems auf eine Vielzahl von Reizfaktoren zu sehen ist, also als eine Erkrankung, die sich am Ende aus einer Kette verschiedener, zusammenwirkender Ursachen ergibt:
In der Umwelt-ZahnMedizin wird die Parodontitis daher als multifaktorielle Erkrankung gesehen. Sowohl in der Diagnostik als auch der Therapie werden – neben den Bakterien – von außen nach innen wirkende Faktoren berücksichtigt, aber auch das Immun- und Regulationssystem des betroffenen Patienten betrachtet.
Beseitigung von Reizfaktoren und Reduktion der Bakterien und deren Stoffwechselprodukte durch Plaque-Kontrolle, Scaling und Wurzelglättung etc. sowie durch Medikamente (Chlorhexidin-Digluconat, Tetracyclin-Fäden, systemische Antibiose etc.).
Sinnvolle Begleittherapie
Daher ist für eine erfolgreiche Parodontitis-Behandlung für den Zahnarzt die Arbeit im Netzwerk mit fachkundigen Ärzten und Heilpraktikern unerlässlich, damit Sie „auch morgen noch kraftvoll zubeißen können“.
Dr. Andreas Lozert
Mitglied im Vorstand und Arbeitskreis Zahnmedizin
Quellen: